Vorderseite

In dem emblemartigen Oval stehen sich zwei Hähne gegenüber und schnäbeln einander.

In der mittelalterlichen Emblematik kennt man die beiden Vögel, die sich schnäbeln - heraldisch-steif. Hier indes wenden sich zwei Hähne, entschlossenen Schrittes, einander zu und küssen sich: ein Sinnbild der Zuneigung und Liebe. Gerade indem sich spiegelbild­lich derselbe Vogel dupliziert gegenüber steht, werden Ebenbürtigkeit und Gleichwertigkeit der Liebenden bekräftigt. Die Symbolik umfasst die Geschlechter und nimmt die Einheit der Menschen ernst.

Gibt es ein passenderes Symbol für die gegenseitige Zuneigung eines jeden Menschenpaares?

Zugrunde liegt dieser Steinzeichnung ein Gemälde von Siegbert Hahn, das er bereits 1976 geschaffen hat: >Modus et Animus< ( = Maß und Mut). Die Kontur der beiden Vögel hat er später zum Logo seiner malerischen Aktivitäten gewählt.

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Diese Steinzeichnung entstand nach dem Gemälde ,Modus et Animus, (1976), abgebildet in der Biographie ,Unter dem Orion,, S. 154.

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Thema dieser Steinzeichnung ist das Gemälde ,Verrinnende Zeit< (1995), abgebildet in der Biographie ,Unter dem Orion,, S. 608.

Linke Seite

Aus einer trichterförmigen Öffnung im Himmel fallen Steine her­unter auf die Erde und schütten sich zu einem Kegel auf; das ähnelt einer Sanduhr. Doch hier, diese >Steinuhr< lässt sich nicht wie eine Sanduhr wenden, um einen neuen Durchlauf zu beginnen. So wird sie eindringlicher noch als eine Sanduhr zu einem Symbol für die Vergänglichkeit der Zeit.

Die heutigen Kosmologen glauben, dass die Zeit mit dem Urknall entstanden sei. Demnach gab es zuvor, und gibt es auch >weiterhin<, jenseils der Zeit, zeitlose Zustände. Demnach wäre Zeit begrenzt und könnte sich auch erschöpfen. Wie aus einer Steinuhr fallen die Jahrhunderte, Jahrtausende und Jahrmillionen auf einen Haufen gelebter Zeit, vergangener Kosmosgeschichte.

Auch individuell könnte diese Steinzeichnung erfahrbar werden: Jedem ist eine eigene Steinuhr zugeordnet, mehr oder weniger ge­füllt. Keiner ist bei der Zumessung gefragt worden. Keiner kann das Verrieseln seiner Lebenszeit stoppen. Die individuelle Lebensuhr entleert sich unaufhörlich. Der letzte Stein fällt gerade herab: Die Lebensuhr ist abgelaufen.

Die Zeit ist eine uns jagende, bedrängende Urkraft. Sie ist eines der aufregendsten Phänomene des Lebens. Die Zeit ist körper- und formlos, aber unüberwindlich; messbar, aber mit unseren Organen nicht spürbar; und vor allem unumkehrbar.

Jenseits der Zeit waltet kein Gestern, Heute und Morgen.

Rückseite

Ein mächtiges Tor steht im Vordergrund und öffnet innerhalb einer Mauer einen Eingang, der auf eine freie Fläche führt. Ein zweites Tor in einer umlaufenden Mauer befindet sich im Hintergrund und wirkt so perspektivisch kleiner, ist aber tatsächlich gleich imposant wie das erste Tor. Die Kanten des hinteren Tores sind beschädigt.

Zwei Tore begrenzen wie Anfang und Ende eine Wegesstrecke. Das Tor im Vordergrund ragt gewaltig nach oben, es nimmt mehr als die Hälfte der Vertikalen ein. Zwei vierkantige Monolithe von kolossalen Ausmaßen tragen einen kürzeren Querbalken. Mit seiner imposan­ten Höhe deutet das Tor auf etwas Erhabenes, Ehrfurcht Einflößendes hin, zu dem es Einlass gewährt. Es lädt ein zu einem neuen Leben, dem Leben eines Neugeborenen: noch leer, noch offen für jede Aus­gestaltung, aber zugemessen in seiner Distanz zum zweiten Tor, dem Todestor, das schon immer geöffnet ist.

Beide Tore gehören zueinander, doch ihren gegenseitigen Abstand variiert das Schicksal für jeden Menschen, nach seiner Laune. Es teilt das Maß zu, anscheinend so unberechenbar und so willkürlich, wie auch im Würfelspiel die Zahlen fallen. Die zugeteilte Lebensstrecke ist ein Angebot des Schicksals an uns. Wie wir sie durchmessen, hängt von unserer Kraft und unserem Mut ab, auch wie wir die Zumutungen des Lebens zu bändigen vermögen. Dass uns dies alles gut gelinge, entscheidet mit über unser Lebensglück.

Diese Steinzeichnung entstand als Variation zu dem Gemälde ,Das erste und das letzte Tor, (2000), abgebildet in dem Kunstband ,Natura mystica,', S. 35.

Das Motiv dieser Steinzeichnung folgt dem Gemälde ,Begegnung, (1983), abgebildet in der Biographie,Unter dem Orion,, S. 610.

Rechte Seite

Aus einer Öffnung des Himmels senkt sich der Kopf eines Vogels herab. Er berührt mit seiner Schnabelspitze spiegelbildlich einen anderen Vogel, der sich aus einer Öffnung der Erde emporreckt.

Welch eine verwegene Behauptung stellt diese Steinzeichnung dar: Himmel und Erde berühren sich ! Sie streben aufeinander zu. Sie treffen sich, sie küssen sich.

Das Jenseits neigt sich dem Diesseits zu, wie sich das Diesseits dem Jenseits entgegenstreckt. Jede Seite bringt der anderen etwas entge­gen: die Suche nach Berührung, und zwar auf halbem Wege. Keine Seite zieht sich zurück oder eilt der anderen vollends entgegen. Nicht Distanzierung ist gewollt oder Anbiederung beabsichtigt, sondern jede Seite macht sich selbst auf den Weg und will der anderen begeg­nen. Ähnlich und gleichwertig mögen Transzendenz und Imma­nenz aufeinander treffen, wenn es um die Deutung existentieller Phänomene geht.

Auch Gott und Mensch könnten gemeint sein. Sie suchen und fin­den sich, und zwar in der Mitte des Weges. Die Gnade wartet auf das Entgegen-Kommen des Empfangenden, und der Mensch darf das Entgegen-Kommen Gottes erwarten. Die Übernatur neigt sich zur Natur hinab. Und die Natur ihrerseits hat Verlangen und Kraft, sich der Übernatur zuzuwenden und ihr zu begegnen.

Der Vogel mit dem Stein

Mit leichten Schwingen fliegst du fort.
Bald bist du hier, bald bist du dort.

Ich schau' dir nach, möcht' folgen dir,
doch nie wird es gelingen mir. -

Ich möchte wie ein Vogel sein !
Doch bin beschwert mit einem Stein.

Mit dieser Last muss fliegen ich,
die Gegensätze lieben sich.

So bleibt die Sehnsucht mir allein.
Bin wie der Vogel mit dem Stein.

Dr. Peter Guckel (2005)

Dr. Peter Guckel & Siegbert Hahn